OBX Marathon, Kitty Hawk (Bericht Konrad Waßmann - unser "laufender Korrespondent" in den USA)
Soll man ohne vernünftige Vorbereitung einen Marathon laufen? Wenn der letzte lange Lauf nur gut zwei Stunden gedauert hat und auch schon länger zurück liegt? Wenn man sich erst drei Tage vor dem Start endgültig zum Laufen entscheidet?
Jeder vernunftbegabte Läufer würde diese Fragen mit einem klaren “nein” beantworten. Allerdings lohnt es sich, manchmal mehr auf die Gefühle als auf den Verstand zu hören. So ist es mir geschehen, als ich rein zufällig vom “Outer Banks Marathon” gehört habe.
Die Outer Banks ist eine der US-Ostküste vorgelagerte großartige Dünenlandschaft in North Carolina. Bekanntester Ort ist Kitty Hawk. Dort haben die Gebrüder Wright die ersten motorgetriebenen Flüge der Welt absolviert. Und in Kitty Hawk war auch der Start des Laufs. Das äußerst generöse Zeitlimit von 7 Std 40 Min gab mir die Gewissheit, dass ich im Notfall die Strecke auch als Wanderer zu Ende bringen konnte. (Nebenbei bemerkt, die Halbmarathonis haben 8 Stunden Zeit!!!)
Da wir ohnehin die Outer Banks, oder wie man in den USA gern abkürzt, die “OBX” besuchen wollten, war die Sache schnell geritzt. Nach nur knapp zwei Stunden entspannter Fahrt auf dem Highway waren wir da. Auf der Marathon Expo konnte ich mich für stolze 95 $ nachmelden. Natürlich stehen auch andere Strecken zur Auswahl, von 8 km über HM bis zum Marathon.
Der Start erfolgte Sonntag früh um 07:20 Uhr. Die Amis lieben frühe Starts. Das ist auch nicht schlecht, dann entkommt man ein wenig der Mittagshitze hier in den Südstaaten. Das Wetter spielte schon die ganze Woche perfekt mit. Zurzeit haben wir wolkenlosen, strahlend blauen Himmel mit Tageshöchsttemperaturen von knapp 20 Grad Celsius. Also ideale Bedingungen für einen langen Lauf und den letzten Sonnenbrand des Jahres.
Kurz vor dem Start wurde es im Feld plötzlich totenstill. Irgendjemand sprach ein Gebet. Danach folgte wie üblich die amerikanische Nationalhymne. Alles sehr feierlich und ungewohnt für Deutsche. Die Amis lieben es. Der Start erfolgte im Ortskern von Kitty Hawk und führte auf dem Wright Memorial Trail an die Westseite der Banks an den Albemarle Sound. Spätestens jetzt wurde jedem klar, dass er an einer schönen Veranstaltung der Marathonszene teilnahm.
Dieser Marathon ist ein Landschaftslauf mit einigen öden Straßenanteilen. Wer hier nur auf die Uhr schaut und seine Bestzeit jagt, ist selber schuld. Laufen und Genießen ist die Parole. Und das kann man anfangs ganz prima. Der Weg führt zunächst durch eine herrliche Wald- und Parklandschaft. Wer hier wohnt, hat das große Los gezogen.
Nach 8 Meilen erreichten wir das Wright Brothers Memorial. Am 17.12.1903 begann genau dort die Geschichte der Luftfahrt. Wie schön wäre es, wenn mir jetzt Flügel wachsen würden und ich die letzten Kilometer leicht schwebend zurücklegen könnte. Nur zwei Meilen weiter führte die Strecke in den Nags Head Woods Nature Preserve. Dieses Naturschutzgebiet ist ein typischer Küstenwald mit herrlichen Trails, zum Teil mit Mulch bedeckt. Man läuft wie auf einem Teppich. Darauf wechselten wir die Seite und gelangten an die Ostküste der Banks, ans Ufer des Atlantiks. Das hört sich leichter an als getan. Denn es gilt noch nebenbei die größte Sanddüne der amerikanischen Ostküste im Jockey’s Ridge State Park zu überwinden. Der Blick kann von hier aus ungehindert bis nach Afrika schweifen.
Zwischen Meile 14 und 22 geht es völlig eben dahin. Leider führt die Strecke nun häufig über eine gesperrte Spur des Highway 64, einer vierspurigen Bundesstraße. Das ist ätzend und nimmt dem Lauf deutlich an Attraktivität. Die Temperatur stieg ständig an. Unser Zentralgestirn wollte sicher zeigen, was eine richtige Südstaatensonne so drauf hat und bretzelte mit voller Wucht herunter. Auf dem Asphalt wurden mindestens 30 Grad erreicht. Trinken, trinken, trinken hieß die Devise. Ist nicht schwer, denn die Wasserstellen kommen wie am Fließband.
Nach 23 Meilen wartete ein leichter Anstieg. Wir überlaufen auf der Washington-Baum Bridge den Roanoke-Sound. Auf der anderen Seite befinden wir uns auf Roanoke Island. Das Ziel ist nicht mehr allzu weit entfernt. Es liegt im kleinen Ort Manteo. Die Gemeinde hat sich nicht lumpen lassen und begrüßte das Läuferfeld mit einem kleinen Fest. Das haben die Amis voll drauf. Die Stimmung war super und absolut relaxed. Selbst die Königin Elisabeth I und ihr Mann aus dem späten Mittelalter waren da.
Doch zurück zur Ausgangsfrage: Soll man ohne vernünftige Vorbereitung einen Marathon laufen? Die Antwort lautet in diesem Fall: Ja. Auch wenn der Lauf scheinbar nicht enden will, auch wenn hinterher die Knochen schmerzen, auch wenn angesichts der schlechten Laufzeit ein Vereinsausschluss droht, die tolle Strecke entschädigt für alles und war die Anstrengung wert. Mit meiner Laufzeit von 4:29 Std lag ich knapp unter der mittleren Ankunftszeit. Das Gesamtergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Bemerkenswert ist der sehr hohe Frauenanteil. In 2008 liefen neben 783 Männern auch 526 Frauen ins Ziel. Und in diesem Jahr wird es nicht anders gewesen sein.
Aufbereitung Bericht für LLG-HP: Antje + Olaf Kucher