Laufend älter werden.

Auch mit sechzig kann man noch vierzig sein - aber nur noch eine halbe Stunde am Tag (Anthony Quinn)

Eine Kolumne von Gerd Dürr

Enttäuscht und völlig kaputt erreiche ich wieder mal die Ziellinie bei einem Marathon. Im Jahre 2009 ist es Leipzig. 3 Stunden und ca. 45 Minuten habe ich für den „langen Kanten“ benötigt und lande damit in der AK 55 noch weit vorne. Im Zielbereich scheint es nur überglückliche Leute zu geben. Ein junger Mann, mit dem ich lange zusammen gelaufen bin, haut mir freudestrahlend auf die Schulter: “Super, danke, das war mein zweiter Marathon. Und dann gleich unter 4 Stunden. Ohne dich hätte ich das kaum geschafft. Toll, wie Du mich gezogen hast“. Was will der, denke ich, ich habe ihm gar nicht geholfen. Unser Zusammentreffen war rein zufällig und gezogen habe ich ihn schon gar nicht. Ich bin klassisch eingegangen und irgendwann vor dir her gelaufen. Aber was soll’s. Na ja, ein klein wenig habe ich ihn schon gezogen und ich freue mich auch für den glücklichen „Nachwuchsstar“, er ist ja auch ziemlich nett. Ganz bewusst verzichte ich auf eine Peinlichkeit, die ich von vielen anderen „Oldies“ kenne: Ich erzähle ihm jetzt nicht eine Stunde lang, ob er will oder nicht, von meinen Bestzeiten, die ich irgendwann einmal irgendwo auf dieser Welt bei (unbedeutenden) Läufen gelaufen bin und erspare mir die Erfahrung, für andere Läufer eine Nervensäge zu sein.

Dennoch überlege ich schon in der Straßenbahn, die mich zu meinem Hotel zurückbringt, ob ich das mit diesen Wettkämpfen nicht lieber lassen sollte. Einfach der Gesundheit wegen regelmäßig in den Bergischen Wäldern laufen. Fertig. Kein Wettkampfstress mehr. Nichts. Laufen, wenn man Lust hat und nicht, weil es von einem zwanghaften Trainingsplan vorgeschrieben wird.

Warum aber bin ich so enttäuscht, oder besser gesagt frustiert, wie es die Psychologie so gerne in ihrem nervigen Anglizismus ausdrückt ( von lat. frustra = vergeblich, Wunschversagung). Was war vergeblich? Ich bin doch angekommen, und gar nicht mal so schlecht. Welcher Wunsch wurde mir versagt? So zu laufen wie ein 35jähriger? Wie töricht.

Aber dennoch – was ist es, was viele Alterklassenläufer, zumindest wenn man es von außen betrachtet, so bedauerlich sentimental werden lässt, wenn sie im Laufe einer langen Wettkampfkarriere langsamer werden, trotz hohem Trainingsumfang und ungebrochenem Willen. Haben wir keine anderen Probleme? Sind wir auf eine neuzeitliche Form dekadent?

"Der große Sport fängt da an, wo er längst aufgehört hat, gesund zu sein." sagte einst Bert Brecht. Bleibe ich halt im gesunden Bereich. Gesundheit ist ja auch ganz nett.

In der Ausgabe eines Hochglanzmagazins (mit englischem Titel) für Läufer, ich wundere mich jedes mal, was man alles Neues über so eine simple Tätigkeit wie Laufen schreiben und illustrieren kann, vom Juni 2009, berichtet ein ehemaliger Spitzenläufer (wie hieß der nur – ich habe die Ausgabe längst entsorgt ) über seine Probleme mit dem Älterwerden. Der „Hammer“ dabei war, der Bursche ist erst 40 Jahre alt und hat schon Probleme. Junge, würde ich gerne ausrufen, komm doch erst einmal in mein Alter und dann fällt mir sofort ein, wie ich diesen selbstgefälligen Spruch als Jugendlicher abgrundtief gehasst habe. Aber dennoch, war ich als 40jähriger nicht noch ein pfeilschneller Läufer ohne Probleme (?) – oder kommt mir das nur so vor, wenn ich mit verklärtem Läuferblick zurück schaue.

 

Köln, Galeria Kaufhof Nachtlauf am 20.05.2009.

oder

„Je oller, je doller“

Kurz vor dem Startschuss reihe ich mich vorne in der fünften Reihe ein, indem ich über die Absperrung klettere und dann meine Mitstreiter, die seit geraumer Zeit hier stehen und ordentlich durch die Zaunöffnung gekommen sind, entschuldigend anschaue. Aber ich will gleich vorne weg sein und nicht durch die zahllosen Genussläufer aufgehalten werden. Laufen bis an die persönliche Grenze. „Je oller, je doller“ sagt wohl der Volksmund dazu. Gesund und mit Genuss laufen, das hebe ich mir für später auf. Wieder mal nichts gelernt aus dem Marathondebakel, fragt mich meine innere Stimme. Aber ich höre weg und erwarte einen wunderbaren Lauf, der mich zweimal die anspruchsvollen Treppen zur Kölner Philharmonie raufzwingen wird, mir oben fast den Atem raubt und mir dennoch einen Sprint über die Hohenzollernbrücke abnötigt, so dass ich nicht in der Lage bin, das Vorhängeschloss meiner Tochter zu bewundern, welches sie hier mit ihrem Ehemann vor einigen Wochen als Zeichen ihrer Zuneigung an den Zaun gehängt hat; Schlüssel im Rhein versenkt.

Ich bin Günter vom ASV Köln auf den Fersen. Gleich am Start habe ich ihn entdeckt, meinen ewigen Konkurrenten in der Alterklasse, und so lasse ich ihn nicht mehr aus den Augen. Zu oft schon hat er mich in einem fulminanten Endspurt abgehängt und eine Platzierung nach hinten geschoben. Mal schauen wie es heute läuft. Der Konkurrent ist freundlich hat Humor, das weiß ich bereits und so frage ich ihn mit gespieltem Ernst in der zweiten Runde:“ ... du schon wieder .. . hört dieses gnadenlose Rennen denn nie auf ...?“ Er dreht sich rum und fragt: „ ... bist du es .. aus St. Augustin?“ und wir hetzen uns zur Scheelsick rüber, als wenn es um unser Leben ging. Eine lange Gerade führt zum Tanzbrunnen zurück. Noch einmal gibt mein persönlicher Pacemaker höllisch Gas und ich halte mit, so dass mir bald das Mittagessen in den Backen stehen wird, wenn ich nicht bald das Tempo zurücknehme. Wenn der jetzt nicht schwächelt, dann tu ich es eben, denke ich mir völlig erschöpft und muss über diese Drohung innerlich lachen. Gleich ist es aus mit mir. Dann sagt Gerhard diesen wunderbaren Satz:“ Heute ist dein Tag“ und fällt leicht zurück. Man, klingt das schön. Aber ich weiß auch, dass dies unter Läufern auch ein großer Bluff sein kann. Man wiegt sich in Sicherheit und auf der Zielgerade fliegt der Gegner hämisch vorbei. Alle Tricks sind erlaubt. Ich setze mich nur etwas nach vorn und versuche zu hören, ob er kommt. Er, der letzte Konkurrent in der AK55.

Bloß nicht umschauen. Das ist Schwäche. Es ist dunkel. Wo sind die Stufen, auf die man achten muss. Aber auch den Sprung die Stufen hinunter zum Tanzbrunnen schaffe ich ohne zu straucheln und laufe über die Zielmatte. Sofort drehe ich mich um, um Günter zu begrüßen. Er ist knapp hinter mir. Ich gratuliere ihm und bedanke mich. Gut gemacht haben wir beiden Alten das.

Bestens gelaunt fahre ich an diesem Abend mit meiner Frau nach Hause. Alle Bedenken sind wie weggefegt.

Wie wunderbar kann das Laufen im Alter sein ... oder?

Gerd Dürr

 

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Aufbereitung Bericht für LLG-HP: Antje + Olaf Kucher