Manchmal ist Laufen einfach nur schön.
Bericht über den "Boundary Run" in Cambridge, 2. März 2008
80 Km nordöstlich von London liegt die alte Universitätsstadt Cambridge. 40 Minuten im Flugzeug nach Standstad (nördlich von London), dann noch 30 Minuten mit dem Regionalzug Richtung Birmingham und schon taucht man im historischen Cambridge in eine andere Welt. Hier kann man tagelang durch die beindruckende Altstadt ziehen und sich die ehrwürdigen und verschachtelten Colleges ansehen, die zusammen die University of Cambridge bilden und wenn man schon mal vor Ort ist, sollte man auch gleich ein "Läufchen" wagen im Mutterland der Leichtathletik. Angebote gibt es genug. Am ersten Märzwochenende startet der alljährliche Rundlauf um Cambridge, der "Boundary Run", ein Cross-Country-Lauf im wahrsten Sinne. Die gesamte Umrundung beträgt genau die Distanz eines Marathons, so dass auch ein exakter Halbmarathon angeboten wurde, mit Rücktransport per Bus. Gesagt getan!
Veranstalter war der studentische Laufclub von Cambridge "Hare and Hound (Hase und Hund) - University Cross Country Running Club", der sich seit 1880 (!) dem Laufsport widmet.
Um 9Uhr30 am Sonntag öffnet das Meldebüro in einem Fitnessstudio am Stadtrand. Alles geht gesittet zu und im Nu gestaltet sich vor dem Meldeschalter die sprichwörtliche britische Warteschlange. Ich lerne Marathonläufer aus England kennen, die sich sowohl für den Köln-Marathon als auch für "kölsch" interessieren und einen italienischen Starter, der sich bei mir nach dem Berlin-Marathon erkundigt. Alle Starter sind guter Stimmung und jeder hat etwas zu erzählen. Wie bei einem großen Familientreffen. Irgendwie habe ich heute den Eindruck, es kommt gar nicht so sehr auf die Laufzeit an, sondern eher darauf, nette Leute aus aller Welt kennen zu lernen. Laufen ist einfach eine wunderbare globale Angelegenheit, so kommt es mir hier in den Sinn, was soll da mein ständiges Schielen nach Endzeiten?
Als sich um 10Uhr 30 ca. 350 Leute auf die Umrundung von Cambridge machen, ist meine Stimmung richtig gut. Zunächst geht es ein wenig auf und ab über Landstraßen, dann zum ersten Mal in einen kleinen Wald. Hier muss der Läufer häufig Tore in den breiten Viehgattern öffnen, um die nächste Wiese oder das nächste Waldstück zu betreten. Manchmal gilt es auch Viehhindernisse zu überspringen oder über eine Art Gitter zu laufen, welches Huftiere am Verlassen der Weide hindern soll. Gelegentlich überqueren wir einen Acker, ein anderes Mal Eisenbahnschienen. Beim Überqueren der Eisenbahnschienen müssen auch wieder zwei Tore geöffnet werden, falls der Vordermann nicht gerade das Tor für einen offen hält. Einmal fehlen im Wald die Markierungen und die Läufer, die sich vorher schon hier verlaufen haben, weisen uns den richtigen Weg, da sie gerade aus der falschen Richtung zurückkommen.
Beim Überqueren der nicht gesicherten Landstraßen passieren mir hier in England die typischen Fehler der Festlandtouristen im Linksverkehr. Ich schaue schön "artig" nach links ob frei ist und laufe rüber aber leider kommt der Verkehr hier zunächst von rechts, gut gegangen. Das kann allerdings auch gefährlich werden.
Die Umgebung von Cambridge ist ausgesprochen malerisch. Wir kommen an kleinen Dörfern vorbei, um dann wieder durch eine Wiesen- und Flusslandschaft zu laufen. Es ist kalt, die Sonne scheint, am Wegesrand stehen Osterglocken in voller Blüte und die Passanten, die unterwegs sind, rufen uns freundliche Dinge zu. Die Mitläufer sind zurückhaltend (reserved), aber wenn ich sie anspreche, ergeben sich Gespräche in freundlicher Atmosphäre. Meinen Hinweis, dass ich die Meilenangaben immer umrechne muss, finden einige Starter interessant und helfen mir sogar beim Rechnen.
Nach 10 Meilen kommen wir durch ein Dorf, dass die unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausübt, noch einmal für einen Spaziergang zurück zu kommen. Reetgedeckte Häuser, Kirche in der Mitte und ein idyllischer Flusslauf laden zum Verweilen ein. Später erfahre ich, dass es das berühmte Dorf Grantchester war. Hier liegt der "Orchard", Englands bekanntester Obstgarten. Berühmte Geistesgrößen (V. Wolff, L. Wittgenstein u.a.) genossen hier Anfang des 20. Jahrhundert ein ausschweifendes Leben. Na ja. Läufer waren das wohl eher nicht. Heute werden hier zum Tee unter Apfelbäumen die legendären Scones (riesiges Gebäck) serviert.
In einem kleinen Ort, dessen Namen ich längst vergessen habe, erreiche ich, direkt vom Acker kommend, auf dem Fussballplatz das Halbmarathonziel. Die Zeit von 1.38 Std, die ohnehin nicht mit der Zeit eines Straßenlaufes zu vergleichen ist, bleibt unwichtig. Gut gelaunt werde ich mit den ersten 50 Läufern in einem Reisebus zum Start zurückgebracht. So kann der Tag von mir aus weiter gehen.
Gerd D. Dürr