100 km Biel 09.-10.06.2006

 

Links:   Bericht Konrad Waßmann

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Ergebnisse:

09.-10.06. 100 km Biel
Strecke
Zeit
Platz Gesamt
Platz AK
AK
Konrad Waßmann 100 km 12:39:07 672./1229 M 104. M55

 

 

Bericht von Konrad Waßmann: Die 100 km von Biel – Innenansichten eines Langsamläufers

 

 

Nachdem ich 2004 den Bieler Hunderter verletzungsbedingt schon bei 56 km abbrechen musste und 2005 überhaupt keine langen Strecken laufen konnte, sollte es 2006 wieder soweit sein. Biel rief und ich kam. Die Trainingsläufe und Wettkämpfe (10 km, 15 km, zwei Halbmarathons und drei Marathons in jeweils dreiwöchigem Abstand) im Frühjahr verliefen planmäßig und machten mir Mut für eine Endzeit zwischen 12 und 13 Stunden. So wurde früh eine Unterkunft gebucht. Am 8. Juni fuhr ich mit meiner Liebsten nach Biel. Den Freitagvormittag genossen wir am See und in der Stadt. Nachmittags ging es zur Anmeldung (mit 75 EUR ist man dabei) und danach zurück ins Privatquartier. Schließlich musste ich ja noch sehen, wie Deutschland Costa Rica bezwang. Noch schnell eine halbe Stunde aufs Ohr gelegt und ab zum Start an der Eissporthalle. Hier trafen wir Wolfgang Stock, der sich bei einer Riesennudelportion auf seinen elften Einsatz in Biel mental einstellte. Der Wetterbericht versprach eine trockene, leicht kühle Nacht. Und so sollte sie auch werden. Sternenklarer Himmel, Vollmond von der schönsten Art und später ein Bilderbuchsonnenaufgang boten den äußeren Rahmen. Doch zurück zum Start. Der erfolgte pünktlich mit einem Riesenböller um 22:00 Uhr. Ca. 1600 LäuferInnen machten sich auf den Weg in die Nacht. Zunächst führte die Strecke durch Biel. Dabei säumten zahlreiche Zuschauer mit für Schweizer ganz untypischem Enthusiasmus die Straßen. Doch schon bald verließen wir durch die Vororte den Trubel. Es wurde deutlich ruhiger und nach knapp 10 km waren wir draußen auf dem Land. Leichte Anstiege bereiteten uns auf das Jura vor. Das Feld sortierte sich. Die schnellen Hirsche waren schon lange auf und davon. Hinten ging es gemächlicher zu. Ich hielt mich strikt an meine selbst auferlegte Vorgabe: der Puls blieb immer unter 130. Um es vorweg zu sagen, diese Vorgabe habe ich bis ins Ziel eisern eingehalten. Zum Schluss bin ich sogar unter 125 geblieben. Den Bildern könnt Ihr entnehmen, dass ich dadurch nie an meine Grenzen gehen musste. Inzwischen freute ich mich auf Aarberg. Das liegt bei ca. 18 km und zeichnet sich durch eine wunderbare alte überdachte Holzbrücke und einen tollen Marktplatz aus. Hier trudelte ich kurz vor Mitternacht ein und wurde bereits von Hildegard erwartet. Sie reichte mir wie abgemacht meine Weste, denn es wurde schon langsam kühler. Nach dem Ortsdurchlauf begann der wirklich ruhige Teil des Laufes. Die nächsten Stunden liefen wir im hellen Mondlicht durchs Schweizer Jura. Es bildeten sich kleine Grüppchen, häufig von Radfahrern begleitet. Viele LäuferInnen nutzten den Service ihrer Freunde und Verwandten. Licht brauchten wir nicht. Die Nacht war so hell, dass unsere Körper im Mondlicht sogar Schlagschatten warfen. Seit einiger Zeit wurden wir ständig von anderen, viel schnelleren Läufern überholt. Nein, die hatten nicht den Start verschlafen. Das waren die Marathon- und Staffelläufer. Sie waren eine halbe Stunde nach uns gestartet und zeigten uns als „Sprinter“ natürlich jetzt die Hacken. Aber dieser Spuk war auch bald vorbei. Bei Oberramsern war das Marathonziel und wir Ultras waren wieder unter uns. Das 50 km Schild zeigte an, dass die Hälfte der Strecke geschafft ist. Von nun an ging´s nach Haus. So langsam ging der Mond im Westen unter. Im Osten war bereits erste Helligkeit zu erahnen. Bei km 56 ist Kirchberg erreicht. Hier kann man bei Bedarf mit Zeitnahme aussteigen. Zugleich ist diese große Verpflegungsstelle der Ausgangspunkt für den schönsten Teil der Strecke, den knapp 10 km langen Ho-Chi-Min-Pfad. Er führt am Ufer der Emme auf einem Damm entlang. Links die Emme, rechts Wälder, Wiesen und Auen. Keine Autos und keine Fahrräder. Hier waren wir wirklich allein mit der Natur. Allerdings gilt es aufzupassen. Dicke Wurzeln und Steine, denen der Weg seinen Namen verdankt, lassen eine schnelle Gangart kaum zu. Jeder Schritt muss hellwach gesetzt werden, sonst kann man schmerzliche Sturzerfahrungen machen. Die Sonne ging nun auf und die Vögel starteten ihr morgendliches Konzert. Im Urwald am Amazonas kann es nicht lauter zugehen. Aber auch dieses Stück endet. Noch schnell auf einer Brücke der Emme Tschüß gesagt und ab ins Hinterland. Der Halt an den regelmäßigen Verpflegungsstellen ist mittlerweile Routine geworden. Mein Flüssigkeitsbedarf war enorm und ich deckte ihn konsequent. Die Versorgung ist auf dem gesamten Lauf mustergültig. Es bleibt kein Wunsch unerfüllt. Wasser, Isogetränke in verschiedenen Geschmacksrichtungen, Tee, Cola, warme Bouillon, Bananen, Apfelsinen, Müsli, Brot usw. Wer will, könnte auf diesem Lauf zunehmen. Und die HelferInnen sind immer sehr freundlich und zuvorkommend. Fast fällt es schwer, die gastlichen Stätten wieder zu verlassen. Es ging Richtung Bibern und das heißt über Kilometer leicht bergan. In Bibern habe ich vor Jahren den Fehler gemacht, mich massieren zu lassen. Nach ca. 10 Minuten wollte mich die Massagefee wieder los schicken, allerdings hatten meine Systeme bereits auf Tiefschlaf geschaltet. Das war eine Quälerei, bis ich wieder richtig in Schwung war. Das sollte mir dieses Mal nicht passieren. Also Augen tapfer geradeaus und den nun recht steilen Berg hinaufmarschiert. Ja, ich bin auch gegangen. Es gehört zu meinem Rezept, auf so langen Läufen Steigungen hinauf zu gehen. Damit habe ich beste Erfahrungen gemacht. Die verlorene Zeit hole ich später leicht wieder rein. Oben angekommen ging es – wie sollte es anders sein – gleich wieder bergab ins Bieler Tal. Die Stimmung bei den LäuferInnen war vorbildlich. Konkurrenzgedanken sind in meiner Leistungsklasse ein Fremdwort. Jeder hat für jeden ein aufmunterndes Wort oder einen freundlichen Blick. Schnell wird auch mal eine Getränkeflasche ohne Aufforderung rumgereicht. So ein freundschaftliches Miteinander wildfremder Menschen kann man sonst kaum auf Läufen erleben. Die letzten knapp 20 km standen an. Und nun begann die Hitzeschlacht. Die Sonne war aufgegangen und zeigte uns, was sie kann. Das Ufer der Aare ist zwar eine wunderbare Idylle, allerdings ohne Schatten. So musste auch schon mal ein Zierbrunnen zur äußeren Kühlung herhalten. Meine Weste hatte ich schon lange bei Hildegard abgegeben. Sie war mit dem Auto unterwegs und stand die ganze Nacht immer wieder an der Strecke. Sie hat mich wahnsinnig motiviert. Es ist schön, wenn man solch eine tolle und liebevolle Unterstützung hat. Bald war es nicht mehr weit bis Biel. Es ging ab und zu wieder durch den schattigen Wald – was für eine Erleichterung. Jetzt hieß es auf die Zähne beißen und durchhalten. Da ist auch schon das 99 km Schild. Schnell noch ein Foto gemacht und ab ins Ziel. Nach 12 Std 39 Min war es geschafft. Die Medaille umhängen, Hildegard in den Arm nehmen (sie hatte sich an den Aufpassern vorbei in den Zielbereich gemogelt), die Urkunde abholen und zum Auto. Kaum 30 Minuten nach dem Zieleinlauf stand ich im Appartement unter der Dusche und 10 Minuten später schlief ich tief und fest. Der Bieler Hunderter hat wieder alles gehalten, was er versprochen hat: tolle Zuschauer, die auch mitten in der Nacht die Stellung halten und unermüdlich anfeuern; eine Superstrecke bei Superwetter; eine wahnsinnige Atmosphäre und viel Spaß bei allen. Allerdings gibt es Gerüchte über ein baldiges Ende der Bieler Lauftage. In zwei Jahren, nach der fünfzigsten Austragung soll Schluss sein. Hoffentlich stimmt das nicht, denn ohne Biel wäre die Ultraszene um eine Hauptattraktion ärmer. Ich habe auf jeden Fall für 2007 unser Zimmer schon mal vorsichtshalber für meine zehnte Teilnahme reserviert.

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