Sahara-Marathon mit humanitärem Ziel:

am 26.02.2007 vom Flüchtlingslager ElAyoun nach Smara (Westsahara)

Vor dem Start zum Sahara-MarathonDie Kamelbegleitung am Start

 

Hintergrund

Sahara-Marathon - Der HintergrundEs ist ein fast vergessener Konflikt. Doch unter ihm leiden noch heute fast 170.000 Flüchtlinge. Streitpunkt ist eine 260.000 km² große Wüstenlandschaft – die Westsahara. Ein Gebiet um das seit Mitte der 1970er Jahre ein erbitterter Kampf zwischen Marokko und der saharauischen Befreiungsfront Frente POLISARIO entflammt ist.

Dabei betrachtet Marokko die Westsahara als Teil seines Territoriums und hat einen Großteil davon annektiert, wogegen die POLISARIO für einen unabhängigen Staat Demokratische Arabische Republik Sahara kämpft. Auch wenn seit 1991 ein Waffenstillstand zwischen den Parteien besteht, ist bisher keine Lösung des Konflikts in Sicht.

Daher leben weiterhin rund 170.000 Saharauis in Flüchtlingslagern im tiefen Westen Algeriens. Zum Teil seit bereits über 30 Jahren. Viele von ihnen wurden aber auch erst dort geboren. Sie haben ihre Heimat noch niemals gesehen.

In der kargen Wüstenlandschaft, ohne Erwerbsmöglichkeiten und isoliert vom Rest des Landes, sind sie völlig abhängig von internationaler Hilfe.

 

„Laufende“ Unterstützung

Um den Menschen vor Ort zu helfen, haben sich die WHMF (World Humanitarian Marathon & Ultramarathon Foundation) und die UNO-Flüchtlingshilfe zu einer gemeinsamen Aktion zusammengetan: Am 26./27. Februar 2007 ging der Sahara-Marathon bereits in die siebte Runde.

Dieser Lauf ist eine Mischung aus kontrolliertem Abenteuer, einmaligem Lauferlebnis und humanitärer Hilfe. Mit einem Teil des Reisepreises, den die Läuferinnen und Läufer entrichten sowie mit anderen Spenden, wird ein dringend benötigtes Schulprojekt des Flüchtlingslager SmaraFlüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) für saharauische Kinder gefördert. Es ist mehr als nur ein einfaches Rennen, die Strecke verbindet symbolisch die Flüchtlingscamps Smara, Auserd und El Ayoun, wo die Menschen in Zelten oder einfachen Lehmhüten wohnen.

Im Rahmen des Marathons besuchen die Läufer nicht nur die Flüchtlingslager, sie lernen den Alltag der Menschen aus nächster Nähe kennen. Die Läufer , immer 4 – 6 Läufer gemeinsam, wohnen in den Lehmhäusern oder Hauszelten der Saharauis und essen mit den Familien. Dabei lernen sie die faszinierende Kultur der gastfreundlichen Wüstenbewohner kennen und schätzen.

Weitere Infos im Internet: www.uno-fluechtlingshilfe.de und http://www.saharamarathon.org

 

 

Der große Tag aus ganz persönlicher Teilnehmersicht

Im Kreise unserer Gastfamilie

Nach drei Monaten intensivem Training an Rhein, Sieg, Agger und im Siebengebirge ist es endlich so weit. Wir, meine Frau Elsbeth und ich, sind in Smara, einem Flüchtlingslager im äußersten Westen Algeriens und wohnen zusammen mit zwei Ultramarathonläufern bei einer Gastfamilie im Lehmhaus. Seit Januar hat auch Elsbeth, mittrainiert. Sie hat sich entschlossen, mich nicht alleine in die Wüste zu schicken, sondern sich als Walkerin an den 10-Kilometer-Lauf zu wagen. Neben dem Hauptlauf mit 42,2 Kilometern werden auch ein Halbmarathon, 10- und 5-Kilometer-Strecken und – für Extremsportler – eine 100-Meilen-Stecke (160 Kilometer) angeboten.

 

Großmutter, Mutter und die Kinder: die perfekte Läuferbetreuung

Gestern schien noch mal alles in Frage gestellt. Die Klima- und Essensumstellung hatte sich voll auf den Magen geschlagen. Und auf den Kopf – den haue ich mir jedes Mal am Türrahmen an, wenn es besonders eilig habe zum Häuschen mit dem Loch im Boden. Aber jetzt scheint wieder alles dicht zu sein, nur ein bisschen schlapp fühle ich mich noch.

 

 

 

 

Bin ich hier eigentlich richtig?

Wir sind in Smara noch vor Sonnenaufgang mit dem Bus gestartet und über Teerstraßen und Pisten zum Flüchtlingslager El Ayoun unterwegs. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt, die Fahrt dauert ewig, längst ist die Sonne aufgegangen und es wird zunehmend heißer. Ich stelle mir vor, dass ich das alles zurücklaufen soll, sehe um mich herum drahtige junge Extremsportlertypen und frage mich, ob ich mit meinen 62 Jahren und 3 ½ Jahren Joggingerfahrung hier eigentlich richtig bin.

Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht. Wir kommen zehn Minuten Die einheimischen Fansvor dem Start an. Ich schenke Jeans und Sweatshirt einem der umstehenden Jungen und verteile eine halbe Tube Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 auf alle freien Körperstellen.

Es ist Volksfestatmosphäre. Ich nehme alles wie im Traum auf: Frauen in Trachten, Kamelreiter, Ansprachen. Ein Kameramann hält mir ein Mikrofon unter die Nase und will wissen, warum ich mir das antue. Zwei Gründe: erstens, weil ich mir einen Traum erfüllen will und zweitens, weil es ein Benefizlauf ist, der auf die Flüchtlingsproblematik in der Westsahara aufmerksam machen soll und dessen Erlös in diesem Jahr einem Schulprojekt in Smara zu Gute kommt. Wenn schon quälen, dann wenigstens für einen guten Zweck.

 

 

Plötzlich fangen alle an zu laufen

gleich geht’s losEs ist wohl ein Startschuss gefallen. Ich vergesse vor Aufregung die Stoppuhr zu drücken, trabe mit und schwebe bald wie auf Wolken. Ich spüre keine Steine, keine Hitze, es ist Sahara-Marathon und ich bin mitten drin. Vor einem Jahr noch undenkbar.

Die ersten Kilometer vergehen wie im Flug. Die Strecke ist durch Steinhaufen markiert, die Sicht ist gut, alle drei Kilometer gibt es ein Wasserlager. Ein leichter Wind macht die Hitze erträglich. Die Strecke ist fest und eben. Kleine Steine und Sand. Ich werde unvorsichtig, stolpere, falle, raffe Brille, Mütze und Wasserflasche wieder zusammen und laufe weiter. Den aufgeschürften Ellenbogen spüre ich nicht. Ich laufe Sahara-Marathon.

 

Auf dem Weg durch die Wüste

 

Ich habe eine italienische Gruppe gefunden, die etwa mein Tempo läuft. Wir wechseln uns in der Führung ab und das Laufen macht richtig Spaß. Inzwischen ist es Mittag. Die Hälfte der Strecke liegt hinter mir. Die Sonne hat jetzt ihre volle Kraft, der erfrischende Wind hat nachgelassen. Wir sind im Backofen. Die Strecke wird wellig, kurze, steile Anstiege wechseln sich mit Flugsand-Senken ab. Der Spaßfaktor hat seinen Höhepunkt überschritten.

 

 

 

Die ersten Gehpausen

ausgediente Nylonstrümpfe als GamaschenDas Laufen wird anstrengend. Der Magen fängt an zu rebellieren, der Gürtel mit Wasser und Notausrüstung drückt. Ich habe Tabletten und Toilettenpapier dabei und verdränge das Thema erst mal. Die Hitze steigt zunehmend in den Kopf und die Füße werden immer schwerer. Ich lege die ersten Gehpausen ein. Schließlich setze ich mich hin, trinke von dem lauwarmen Wasser, lecke ein wenig Salz aus der mitgebrachten Filmdose gegen den Mineralienverlust und esse etwas Traubenzucker. Ich schüttle den Sand aus den Schuhen und stülpe die von einer Mitläuferin gespendeten Damenstrümpfe als Gamaschen über die Laufschuhe. Hätte ich besser gleich am Start machen sollen, aber da war ich noch zu eitel.

fester Untergrund auf den ersten Kilometern

Als ich wieder loslaufe, sind über 10 Minuten vergangen. „Meine“ Italiener sind längst außer Sichtweite. Jetzt habe ich ein Ziel, das mich von der Quälerei ablenkt: die Gruppe wieder einholen! Ich laufe und gehe abwechselnd, schütte die Hälfte des Trinkwassers über den Kopf und ins T-Shirt. Als mir ein Betreuer aus einem Begleitjeep eine Banane zureicht, bin längst wieder in Hochstimmung: ich laufe Sahara-Marathon.

 

 

 

Der Rest ist Routine

alle drei Kilometer gibt es WasserAb Kilometer 30 wird die Strecke wieder etwas fester und “beinfreundlicher“. Das Ziel ist nicht mehr so unerreichbar weit. Der Rest ist Routine: vorsichtiges, langsames Traben, keine Stürze, keinen Hitzestau riskieren. Die Sahara mit allen Sinnen aufnehmen, alles Störende ausblenden, genießen. Auf den letzten Kilometern überhole ich sogar noch „meine“ Italiener, jetzt ist alle Quälerei vergessen.

Am Horizont tauchen die Sendemasten am Zieleinlauf in Smara auf. Ich mobilisiere die letzten Kräfte, übe schon mal ein Lächeln für den Zieleinlauf und wundere mich, wie lang doch die letzten 3 Kilometer sind. Am letzten Wendepunkt taucht ein junger Mann mit Polisarioflagge auf und begleitet mich bis ins Ziel. Ich lasse mich nicht lumpen und versuche noch einen Endspurt.

 

"Oase" bei Kilometer 30 Ultraläufer und Fotografen Ultraläufer

 

 

 

 

 

 

 

30 Prozent Saharazuschlag

Die Saharauis verfolgen begeistert den LaufZielfoto, Medaille, Händeschütteln, Schulterklopfen, das erste kühle Wasser seit Stunden – ich nehme alles wie im Traum auf, irgendwie unwirklich. Sahara-Marathon, und ich bin Finisher! Die Zeit: knapp unter 6 Stunden; na ja, verglichen mit den Stadtmarathons nicht gerade eine Traumzeit aber ein schöner persönlicher Erfolg. Die erfahreneren Wüstenläufer bestätigen: 20 bis 30 Prozent längere Laufzeit gegenüber einem Stadtmarathon sei normal. Die meisten Läufer waren schneller, aber auch nach mir schleppen sich noch eine ganze Reihe ins Ziel und ebenso viele haben unterwegs aufgegeben und sich von einem Begleitfahrzeug mitnehmen lassen. An diese Alternative auch nur zu denken, hat mein Altersstarrsinn gar nicht erst zugelassen.

ElsbethElsbeth empfängt mich strahlend im Ziel. Frisch geduscht und mit einer Medaille als 10-Kilometer-Wüstenwalkerin am Hals. Sie kam so frisch ins Ziel, dass es ihr fast leid tat, dass sie sich nicht gleich für die Halbmarathonstrecke gemeldet hatte. Beneidenswert.

Noch am nächsten Tag hält das Hochgefühl an. Hitze, Durst, Magenverstimmung, Sand, Felsen – ich hatte mir alles noch viel brutaler vorgestellt und war dadurch angenehm überrascht und erleichtert, dass alles so gut lief. Was wir geleistet haben, wird mir erst nach und nach klar. Ein begleitender Arzt hat die Lufttemperatur beim Lauf gemessen: 52 Grad. Nicht schlecht. Ich habe nur die Temperatur im Schatten gemessen: 28 Grad. Vor dem Lauf mehr zu wissen stört nur die Motivation.

Ich mache Bestandsaufnahme: keine Blasen, nur ein paar Scheuerstellen vom Wassergürtel und die Abschürfungen vom Sturz, kein Sonnenbrand aber ein kräftiger Muskelkater an den Oberschenkeln – die weichen Sandstrecken haben halt doch viel Kraft gekostet.

 

Was sind die bleibenden Eindrücke?

 

Ob ich es noch mal machen würde?

Ich weiß es noch nicht, ich kann es aber jedem empfehlen, bei dem die persönlichen Voraussetzungen gegeben sind (siehe unten). Es wird noch Wochen dauern, bis alle Eindrücke verarbeitet sind. Die positiven, die neuen, die interessanten aber auch ein paar irritierende durch den Zusammenprall so unterschiedlicher Kulturen wie den Saharabewohnern und uns Westeuropäern. Wer eine Zeit lang so intensiv am Wüstenleben teilnimmt, der kehrt als anderer Mensch zurück, nachdenklicher, offener, zufriedener.


Sahara-Marathon – aber ja!

Sahara-Marathon – wann besser nicht


Autor:

Martin Dirnfeldner Mail: martin.dirnfeldner@freenet.de

Bericht im Bonner Generalanzeiger vom 20.03.2007

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Weitere Impressionen:

Im Lager geboren, welche Zukunft haben die Kinder?Buntes Zelt im FlüchtlingslagerEin Flüchtlingskind

 

 

 

 

 

 

Die Saharauis verfolgen begeistert den Lauf